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ROMAN / 2001

Die Unwissenheit

Irena hat 1968 Prag verlassen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Paris. Aber weder da noch dort fühlt sie sich zu Hause. Und ohne Heimat kann sie nicht bei sich selbst ankommen. Bis sie Josef trifft, der auch aus Prag geflohen ist und einst Irenas Liebhaber war. Mit ihm hofft Irena, Erinnerungen zu teilen und in ein neues Leben aufzubrechen. Der unsentimentale Melancholiker Milan Kundera erzählt meisterhaft von Exil und Heimat und der traurigen Unmöglichkeit der Rückkehr.

Fischer Verlag, online: https://www.fischerverlage.de/buch/milan-kundera-die-unwissenheit-9783596197491

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Auszug aus dem Roman

Je umfangreichen die Zeit, die wir hinter uns gelassen haben, desto unwiderstehlicher die Stimme, die uns zur Rückkehr auffordert. Diese Sentenz liegt scheinbar auf der Hand, und dennoch ist sie falsch. Der Mensch altert, das Ende naht, jeder Augenblick wird teurer und teurer, und man hat keine Zeit mehr mit Erinnerungen zu verlieren. Man muß das mathematische Paradox der Nostalgie verstehen: am mächtigsten ist sie in der früher Jugend, wenn der Umfang des vergangenen Lebens vollkommen unerheblich ist.
Aus den Nebeln der Zeit, als Josef Gymnasiast war, sehe ich ein junges Mädchen hertvotreten; sie ist groß und schlank, schön, sie ist Jungfrau, und sie ist melancholisch, weil sie sich gerade von einem Jungen getrennt hat. Es ist ihre erste Trennung, sie leidet, aber ihr Schmerz ist weniger stark als das Erstaunen, das sie über die Entdeckung der Zeit empfindet; sie sieht sie wie sie sie vorher noch nie gesehen hat:
Bischer hat die Zeit sich ihr als Gegenwart gezeigt, die voranschreitet und die Zukunft verschlingt; sie fürchtete ihre Schnelligkeit (wenn sie etwas Unangenehmes erwartete) oder empörte sich über sie (wenn sie etwas Schönes erwartete). Diesmal erscheint die Zeit ihr ganz anders; es ist nich mehr die siegreiche Gegenwart, die sich der Zukunft bemächtigt; es ist die besiegte, gefangene, von der Vergangenheit davongetragene Gegenwart. Sie sieht einen jungen Mann, der sich aus ihrem Leben löst und davongeht, auf immer unerreichbar. Hypnotisiert, kann sie nichts anderes tun, als dieses Stück ihres Lebens ansehen, das sich entfernt, sie kann es nur ansehen und leiden. Sie empfindet ein ganz neues Gefühl, das Nostalgie heißt.

Fischer Taschenbuch, 2007, SS. 72-73. 

Die Milan-Kundera-Bibliothek wird von der Südmährischen Region und der Statutarstadt Brünn finanziell unterstützt.

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